Wie etabliert man ein Tabuthema in Forschung in Politik? So lautete die Frage, die Silbernetz-Gründerin Elke Schilling auf einem Workshop im Rahmen des Kongresses Armut und Gesundheit Berlin 2018 untersuchen wollte. Die Tabuthemen im Herzen des Silbernetz-Projektes sind Alter, Armut, Einsamkeit und Gesundheit sowie ihre Zusammenhänge und wechselseitigen Einflüsse. Als der Call for Papers im September 2017 kam, durften wir von Silbernetz immerhin hoffen, dass unser dreistufiges Hilfeprojekt zum Zeitpunkt des Kongresses die eigene Finanzierung gesichert und das Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert haben würde. Dann hätte der eigene Erfahrungsbericht deutlich mehr zur Erkundung dieser Frage zu Rate gezogen werden können. Doch da es bezüglich der Aufnahme unseres Betriebes zur Bekämpfung der Alterseinsamkeit noch immer spannend bleibt, richteten wir die Frage an die Teilnehmenden des Workshops. Der 1993 aus einer studentischen Bewegung heraus entstandene und seither jährlich stattfindende Kongress am 20. und 21. März wurde veranstaltet vom Landesverein Gesundheit Berlin Brandenburg in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin. Das diesjährige Motto lautete: Gemeinsam. Gerecht. Gesund. Das Interesse war ungeheuer: Obwohl der Workshop für 15 Teilnehmende geplant war, kamen sehr rasch 56 Anmeldungen, bevor vom Veranstalter ein Stopp gesetzt wurde. Die verwendete Methode der Dynamic Facilitation ist generell gut geeignet, widersprüchliche Fragestellungen von vielen Seiten zu beleuchten und zu Schlussfolgerungen zu kommen. Doch angesichts von schließlich mehr als 30 Workshop-Teilnehmer_innen stieß sie rasch an ihre Grenzen. Nach 90 Minuten waren zehn Flipchartblätter mit unzähligen Fragen und Herausforderungen, Lösungen und Ideen, Bedenken und Einwänden sowie Informationen und Sichtweisen gefüllt, die zu den Themen Armut, Alter, Einsamkeit und Gesundheit (oder besser Krankheit) aus dem Publikum kamen. Welche Gedanken hatten die Anwesenden dazu? Zum Beispiel, dass Armut Einsamkeit auslöst. Dass Armut oft unsichtbar bleibt. Dass ihr unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Gegebenheit kaum abzuhelfen ist. Wenig überraschend erkannten die Studierenden und Mitarbeiter_innen von Senior_inneneinrichtungen, aus Wohlfahrtsverbänden und Krankenkassen, dass im Alter viele Menschen vereinsamen, weil Verwandte und Bekannte sterben, weil sie erkranken, weil ihre körperliche Mobilität nachlässt. Unter den Ideen für Lösungen fanden sich etwa Begegnungsstätten, Besuchsdienste und Mehrgenerationenhäuser und deutlich war zu spüren, wie intensiv die vermuteten und erlebten Zusammenhänge zwischen diesen vier sozialen und Gesundheitsthemen die Anwesenden beschäftigten. Doch wie man sie in eine widerspenstige Öffentlichkeit bringt, blieb unklar. Silbernetz hat bereits viel getan, die Tabus zu unterminieren - und mit einigem Erfolg, wie die Präsenz dieser Themen und unseres Projekts in Presse und Medien zeigt. Die Einrichtung eines Einsamkeits-Ministerpostens in Großbritannien tat das Ihre, zumindest das Thema Einsamkeit in die öffentliche Diskussion zu bringen. Es gibt einfach zu viele Menschen, die selbst betroffen sind oder Menschen in ihrem engeren Kreis haben, die es sind. Doch es bleibt viel zu tun, auch für Silbernetz, um Alter und Einsamkeit, Armut und Krankheitsrisiken von ihrem Stigma zu befreien. Vielleicht ist unsere Gesellschaft damit auf dem Armuts-Kongress im nächsten Jahr schon ein kleines Schrittchen weiter.
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October 2022
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