94 Jahre alt war eine Anruferin heute. Sie lebt noch in ihren eigenen vier Wänden und erzählte mir traurig ihre Geschichte. Ihr einziger Sohn, selbst schon 72, will nicht mit ihr reden, will nicht erklären, was ihn daran hindert oder was genau er ihr eigentlich vorwirft. Das müsse er doch tun, man müsse doch miteinander reden, erklärt sie und kann nicht akzeptieren, dass es seine Entscheidung ist, auf die sie keinen Einfluss hat. Auch mit seinen Töchtern und Enkeln hat sie keinen Kontakt, obwohl sie ihnen Geld geschickt hat. Sie möchte sterben und kann es nicht, sagt sie, weil sie das nicht gehen lässt.
Ob sie es schaffen wird, bei den Freunden alter Menschen anzurufen, damit sie dort jemand finden kann, der sie regelmäßig besucht und Interesse an ihr hat? Eine von vielen Geschichten, die wir in den letzten vier Tagen und Nächten hörten. Über 300 verschiedene Menschen haben seit dem 24.12. 8 Uhr morgens unsere Nummer gewählt, manche nur einmal, manche mehrmals täglich. Die enge Abfolge von Feiertagen, in denen nichts geschieht, wenn man allein ist, können viele nur schwer ertragen. Sie ersehnt den 2. Januar, wenn das Leben wieder normal ist, sagte mir eine andere alte Dame. ES Kurz vor Weihnachten nahmen sich Berliner Politiker_innen je eine Stunde lang Zeit und sprachen am anonymen Silbertelefon „einfachmalreden“ unter der Nummer 0800 4 70 80 90 mit älteren einsamen Menschen. Sawsan Chebli (u. Mitte), SPD, Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund und Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales, Senatskanzlei, Maren Jasper-Winter (u. l.), für die FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, frauenpolitische Sprecherin sowie Sprecherin für berufliche Bildung, Maik Penn (o. r.), Mitglied des Abgeordnetenhauses und Sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion,und Fatoş Topaç (o. l.), Mitglied des Abgeordnetenhauses Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, hatten sich kurz vor Weihnachten bereit erklärt je eine Stunde lang am Silbertelefon „einfachmalreden“ zu sitzen und anonym die unter der Nummer 0800 4 70 80 90 eingehenden Anrufe von älteren einsamen Menschen entgegenzunehmen. Damit fand die Aktion „Einfach mal mit Politiker_innen reden“ bereits zum zweiten Mal bei Silbernetz statt. Auch Katrin Raczynski vom Vorstand des Humanistischen Verbands Deutschlands, Landesverband Berlin-Brandenburg KdöR und Andrea Käthner-Isemeyer vom Humanistischen Verband, Abteilungsleiterin Gesundheit und Soziales, unterstützten die Aktion und arbeiteten zu diesem Anlass mit am Silbertelefon. Eindrücke von der Arbeit am Silbertelefon Sawsan Chebli: „Das war eine interessante Erfahrung. Im nächsten Jahr mache ich gern wieder mit.“ Andrea Käthner-Isemeyer: „Ich habe ein gutes Gespräch geführt und ich bin ganz positiv rausgegangen.“ Maik Penn: „Gern möchte ich mich regelmäßig am Silbertelefon engagieren.“ Katrin Raczynski: „Ich ziehe meinen Hut vor denen, die die Arbeit hier regelmäßig machen.“ Fatoş Topaç: „Ich erhielt wichtige Einblicke in die Realität für ältere Menschen. Und es ist schön mit Menschen zu reden, ihnen zuzuhören.“ Hier gibt es das Bild zum Download (1,8 Mb / 300 dpi)
Einzelbilder sind abzufordern bei: m.hansen@hvd-bb.de. Einsam sind Menschen, deren Umfeld sich im Laufe der Zeit völlig verändert hat. Der Ehe-/Lebenspartner ist verstorben, der Freundeskreis hat sich zurückgezogen oder ist ganz verschwunden, erkrankt, bettlägerig oder verstorben. Und wenn dann der vereinsamte Mensch nicht in eine Depression verfällt, dann versucht er am Anfang noch, Kino- und Theaterbesuche allein zu bewältigen. Mit zunehmendem Alter fällt aber auch dies flach, weil der ältere Mensch abends oder nachts nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren will. Jetzt verschließt sich der Mensch, lehnt lose Kontakte ab und verbringt seine Zeit in der Wohnung vor dem Fernseher, der Tag und Nacht läuft – schon als Geräuschkulisse. Er geht einkaufen, wenn viele Menschen unterwegs sind und er ein Bad in der Menge nimmt. Hinzu kommt auch die Kostenfrage, nämlich: Teilhabe am öffentlichen Leben kostet Geld. Und das ist nach dem Tod des Lebenspartners auch weniger geworden.
Da kein Freundeskreis mehr vorhanden ist, gibt es keinen Briefwechsel mehr, der noch von der älteren Generation gepflegt wird. Schon Margarete Mitscherlich-Nielsen (1917-2012) sagte, sie konnte nur so alt und lebendig am Leben teilnehmen, weil sie Kontakt hatte und nicht nur mit Gleichaltrigen sondern auch mit vielen Jugendlichen den Austausch pflegte. Kommunikation ist im Alter wichtig, das A und O. Ich denke dabei hier in Berlin an das Sozialwerk Berlin e.V., ein Altenselbsthilfezentrum in Berlin-Grunewald, das von ca. 100 Ehrenamtlichen bewirtschaftet wird, 26 Interessenkreise hat, und wo sich die Mitglieder umeinander kümmern. Sobald jemand im Kreis fehlt, wird angerufen, Hilfe bei Krankheit, Krankenhausaufenthalt etc. angeboten. Für den Einsamen wäre es ein großer Schritt, Kontakt nach außen aufzunehmen. Oft aber ist da das Gefühl, in einem Mäuseglas zu sitzen und nicht herauszukommen. Es wird jede Hilfe abgelehnt oder als Belästigung empfunden, und so vergräbt sich der Einsame weiter in seiner Behausung. So einfach zum Telefonhörer zu greifen, um ein Gespräch zu führen, ist eine riesige Herausforderung. Dazu gehört Mut und der Wille, die Einsamkeit zu durchbrechen. Das Angebot von SILBERNETZ, der Telefonhotline für einsame Menschen ab 60, ist hervorragend geeignet, hier Abhilfe zu leisten. Nur muss das Interesse hierfür aufrecht erhalten bleiben. Nachbarschaftshilfe ist ebenfalls eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen. Pflegen Sie Kontakt zu Ihren Nachbarn! Ich schildere Ihnen den Fall einer 82-jährigen Frau, deren Mann im April 2018 verstorben ist. Sie ist auf den Rollator bzw. Rollstuhl angewiesen, hat abwechselnd zwei Pflegekräfte von Mo-So von 8 bis 12 Uhr, und dann ist sie allein. Die Tochter ist berufstätig. Ja, und der Freundeskreis meldet sich nicht mehr, zieht sich zurück, wie das nicht selten geschieht nach einem Trauerfall. Man möchte keine Klagen hören, und so meldet sich niemand mehr. Die Leere, die entsteht, wenn ein Ehepaar 40 oder 50 Jahre verheiratet war, ist immens. Der Tag zieht sich unendlich in die Länge. Zu verweisen ist auch auf das Projekt „Tante Inge“, das auf der Veranstaltung von ZEIT ONLINE 2017 vorgestellt wurde anlässlich des Workshops „Alte Säcke und junge Spunde“ – das ich seinerzeit umgetauft habe in „Alte Schachteln und junges Gemüse“, weil es die Zielgruppe näher beschreibt. Hier wird die Kontaktaufnahme zwischen Jung und Alt nicht nur empfohlen, sondern gewünscht. Wir Alten haben den Jungen noch viel zu sagen und können auch zuhören und umgekehrt auch. Immer wieder Kommunikation ist angesagt! Dann sei noch auf ein Projekt aus den Niederlanden verwiesen, das sich „Ick bin Alice“ (ein Film) nennt. Hier wird eine Computerpuppe zu den einsamen Menschen gebracht, damit sie sich unterhalten und auch beschäftigen können, z.B. Anleitung zur täglichen Gymnastik. Schrecklich und schön zugleich. Weitere Informationen im rbb-Gesundheitsmagazin vom 4.12.2019 (verfügbar bis 4.12.2020). Wir möchten allen Dank sagen, die uns in diesem Jahr 2019 halfen, das Silbernetz weiter zu entwickeln und zu verstärken! Dank an alle unsere Mitarbeiter_innen und Ehrenamtlichen, die Schritt hielten und zum Silbernetz standen in manchmal schier überwältigenden Entwicklungen im Innen und Außen!
Unser Dank geht an unsere Unterstützer_innen in Politik, Stiftungen und Verbänden, regionalen und überregionalen Medien, deren vielfältiges Interesse an unserem Thema und unserer Arbeit uns vorantrieben und die uns überaus wirksam auf vielerlei Weise unterstützten. Vor allem aber bedanken wir uns bei Ihnen, unseren Mitmenschen für alles, was wir dank Ihrer Anregungen, kritischen Nachfragen, Ihren zahlreichen kleinen und großen Spenden und weiterer tatkräftiger Unterstützung in diesem spannenden und ereignisreichen Jahr 2019 leisten konnten! Einige besondere Ereignisse im Jahr 2019:
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October 2022
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