„Sorge und Mitverantwortung in der Kommune“ - das ist der Untertitel des kürzlich veröffentlichten 7. Altenberichtes der Bundesregierung. Es ist das Verdienst von Ursula Lehr, dass die deutsche Bundespolitik vor 25 Jahren begann, die wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren regelmäßig durch eine unabhängige Expertenkommission untersuchen zu lassen, um „altenpolitische Entscheidungsprozesse“ kontinuierlich zu unterstützen. Seit 1993 sollte es in jeder Legislaturperiode einen solchen Bericht geben. Manchmal waren es zwei und manchmal keiner. Manchmal ist der Abstand zwischen zwei Berichten nur ein Jahr. Für diesen siebenten beträgt der Abstand zum vorherigen sieben Jahre. Auch das ist Demokratie – Politik beauftragt und finanziert Forschung, Fakten zu erheben, Schlussfolgerungen zu ziehen und Empfehlungen zu geben. Wie viele Fakten einfließen, wird ein Stück weit durch die zur Verfügung gestellten Mittel und Ziele eines solchen Berichtes bestimmt. Was am Ende davon veröffentlicht wird, ist wiederum u.a. der Beschlussfassung von Regierungskoalitionen anheim gegeben. Dennoch, es ist ein in großen Zügen transparenter Prozess, auch wenn Fragen offen bleiben. So definiert die Expertenkommission 2002 im 4. Altenbericht, in dem es um Hochaltrige geht, die Grenze zu Hochaltrigkeit mit 80-85 Jahren (S.53 ff.), und stellt gleichzeitig fest: „Dabei bleibt nicht selten unberücksichtigt, dass die Datenlage, was das sehr hohe Alter betrifft, als eher dürftig zu bezeichnen ist.“ Das der Forschung von der Politik zur Verfügung gestellte Geld hat auch in den dieser Feststellung folgenden drei Legislaturperioden nie ausgereicht, diese Datenlage zu verbessern. Obwohl Deutschland schon seit 2010 das Land mit den meisten Alten in Europa und nach Japan das zweitälteste weltweit war, gibt es über Hochaltrige kaum Studien, die der Repräsentativität des DEAS gleichkämen. Der DEAS – Deutscher Alterssurvey – ist die Langzeiterhebung, die den Altenberichten der Bundesregierung zugrunde liegt. Dort sind jedoch die Zahlen zu den über 80Jährigen (2015 immerhin 4,5 Millionen) nicht repräsentativ, da die Erhebung zu aufwändig würde. Das macht so manche Aussage der Altenberichte fragwürdig, wenn es um deren Gültigkeit auch für die zwanzig Altersjahrgänge jenseits der 85 geht. Johnny, 94 (Foto: ES) Für Silbernetz sind das insbesondere die Fragen nach unserem Schlüsselthema Einsamkeit/Isolation Älterer, das im 7. Altenbericht überhaupt nur an zwei Stellen unmittelbar Erwähnung findet. Einmal auf S. 86 als „ Risiko für Alterseinsamkeit, insbesondere bei allein wohnenden mobilitätsbeeinträchtigten Personen, die nur noch mit großem Aufwand oder gar nicht mehr ihre Wohnung allein verlassen können“. Das soll in Verbindung mit Altersarmut steigen. Es ziehe „wiederum zusätzliche Risiken für Gesundheit und Lebensqualität nach sich“. Und auf S. 266 steht: „„Regelmäßige Kontakte in der Nachbarschaft steigern das Wohlbefinden und reduzieren das Gefühl der Einsamkeit und der Isolation. Es gilt als empirisch gesichert, „dass allein das Vorhandensein stabiler nachbarlicher Kontakte und die soziale Integration in den unmittelbaren wohnnahen Bereich […] eine unterstützende Wirkung haben“ (Günther 2005: 432).“ Liest man die vorhandenen Statistiken und Untersuchungen überaus gründlich, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass etwa 8 Millionen Menschen ab 65 in Deutschland (gelegentlich) unter Einsamkeitsgefühlen leiden. Aktuelle belastbare Forschungsergebnisse über deren Ursachen und Folgen sind in Deutschland nicht zu finden. Das ist bedauerlich, wird sich doch insbesondere die Anzahl der Hochaltrigen (80+) in den nächsten 20 Jahren verdoppeln. Wie soll Sorge und Mitverantwortung in der Kommune für Menschen aussehen, über deren Lage kaum belastbare Auskünfte vorliegen? Selbstverständlichkeiten verstellen den Blick auf Ausnahmen. Wir leben im Informationszeitalter und können angesichts der uns täglich überwältigenden Informationsflut kaum sehen, dass es daneben Gestrandete gibt. Da, wo nur noch der Fernseher schwatzt und im Werbungsmüll aus dem Briefkasten relevante Information kaum noch selektierbar ist, wo „sich die Reihen gelichtet haben“, Eltern, Kinder, Verwandte gegangen sind, kommen Informationen aus dem Wohnumfeld kaum noch an. Der Absturz in die Vereinsamung kann viele Ursachen haben. Der Verlust von Nähe kann Angst auslösen, Nähe zu suchen oder zuzulassen. Da schließen sich die überfüllten Informationskanäle. Nichtwissen kann auch Ängste auslösen. Ein Teufelskreis. 22.4.2016, 3 Uhr nachts (Foto: ES) Wie kommen also Ältere an Informationen über Angebote für sie? Das Thema Information Älterer wird im Altenbericht fast ausschließlich als etwas über Papier, Internet oder Beratung zu Vermittelndes betrachtet. Im Zusammenhang mit älteren Menschen mit Migrationshintergrund rücken Defizite in den Fokus und dort wird auch ein Modell der Dimensionen sozialer Teilhabe beschrieben, dessen erste Stufe Informationsbeschaffung (S.72) benennt.
Lediglich einmal kommt die Frage nach „zurückgezogen lebenden“ Menschen auf. Dort wird dann benannt, dass „in einzelnen Projekten Menschen als Vermittler eingesetzt, die beruflich regelmäßigen Kontakt zu älteren Menschen haben“ (S.261). An keiner Stelle wird untersucht, wie über berufliche Kontakte hinaus diejenigen erreicht werden können, die eben nicht als solche ins Blickfeld rücken. So bleiben sie vergessen. Dieses „Vergessen“ ist auch eine Hürde für uns, die wir erst überwinden können, wenn es uns endlich gelingt, unser Hilfetelefon freizuschalten und die Rufnummer über das regionale Fernsehen und über die wenigen noch vorhandenen Kontaktpersonen an „zurückgezogen“ Lebende zu vermitteln. |
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Dezember 2021
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